Rekonstruktion und Entwicklungskonzeption für die Friedhofsanlage

Rekonstruierte Friedhofsanlage

Vergangenheit: In Mitteleuropa ist seit frühmittelalterlicher Zeit die übliche Art der Bestattung das Körpergrab. Die Verstorbenen wurden in Reihen, nach dem Zeitpunkt des Todes beigesetzt. Die Menschen wurden in der Reihenfolge, wie sie verstarben, auf dem Friedhof immer in das nächste Grab einer Reihe begraben, sodass auf der einen Seite des Feldes neue Gräber hinzukamen und am anderen Ende beständig die ältesten Stellen eingeebnet wurden. Anfangs handelte es sich um sogenannte Bestattungsfelder außerhalb der Siedlungen, und erst später richtete man diese im Umfeld der Kirchen ein. 

Die Gräber selber waren einfache, mit Efeu bewachsene Hügel. Durch den schlichten Bewuchs war auch das Setzen (Einsacken nach einigen Monaten bis Jahren) der Grabstellen kein Problem, und es kam zu keinem nennenswert höherer Pflege- und Erhaltungsaufwand. Die jeweilige Grabstelle wurde durch einen Hügel deutlich gekennzeichnet. Es war möglich, das Grab mit Blumen zu bepflanzen und ein mehr oder weniger teures Grabmal zu setzen.

Diese bewährte "Technologie der Reihengrabanlagen" kommt mit dem geringsten Platzbedarf aus und somit auch mit dem geringsten Aufwand für Anlage und Unterhaltung des Friedhofes. Da verständlicherweise der Verwaltungsaufwand hier auf ein Minimum beschränkt ist, sind es auch die Kosten.

Die Bestattungskultur in ihrer Funktionalität und damit auch die Trauerkultur war durch jahrhundertealte Rituale festgelegt. Diese Bestattungsrituale hatten neben den kulturellen und religiösen Aufgabenbereichen einen wesentlichen Vorteil: Ein Mensch, der einen Angehörigen bestatten musste, brauchte nach dem Todesfall keinerlei Entscheidungen zu treffen wie etwa die Wahl des Friedhofs, die Art der Bestattung oder den Ablauf der Beisetzungsfeier. Die Tradition regelte jedes Detail. Das begann mit der Art der Bekleidung, die durchaus ihren Sinn hatte, denn das Umfeld nahm automatisch Rücksicht auf Trauernde (auch der Arbeitgeber!) und endete bei der Auswahl der Grabstätte (Reihengrab) und deren Ebnung nach Ablauf der Ruhefrist. Der Hinterbliebene war also frei von der Last der Entscheidungen. Das kann besonders während der schweren Zeit der Trauer sehr hilfreich sein. Heute ist das anders. An die Stelle feststehender Traditionen sind individuelle Formen der Bestattungskultur getreten. Das ist nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Doch es hat zur Folge, dass beim Todesfall eines Angehörigen keineswegs der kultische und der funktionale Ablauf der Bestattung im Voraus geklärt ist. Der "Bestattungspflichtige" muss ständig Entscheidungen treffen, über die er in der Vergangenheit wenig oder gar nicht nachgedacht hat - von unvorhergesehenen Situationen ganz zu schweigen.

Die Gedanken, die heute im Vorfeld bezüglich des "Ernstfalles" gedacht werden, sind unkonkret und fast immer von romantischen Vorstellungen verzaubert. Man wünscht sich, an einem Ort der Stille begraben zu sein, in einem Wald, in einer schönen Landschaft oder inmitten von Wiesen gelegen.

Veränderungen

Die meisten Menschen denken sich den Friedhof immer irgendwie als einen Ort der Unveränderlichkeit, doch gerade dort (bezogen auf Deutschland) hat sich in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Durch steigenden Wohlstand sind die althergebrachten Reihengrabfelder dem sogenannten Wahlgrab (auch Löse- oder Familiengrab) gewichen. Der Bestattungspflichtige kann meist beliebig einen Grabplatz lösen (äquivalent den früheren Bestattungsplätzen der Oberschicht), beliebig sowohl nach der Lage der Grabstelle als auch in Bezug auf die Lösezeit. Die Folge davon ist, es entstehen unregelmäßig belegte Grabfelder mit vielen ungenutzten Splitterflächen, die aufwendig zu pflegen sind und die zusätzlich eines hohen Verwaltungsaufwandes bedürfen.

Durch die fortschreitende Kommerzialisierung der Bestattungskultur, die mit dem teils inflationären Repräsentationsbedürfnis der Menschen Hand in Hand geht, steigen die Kosten für die Bestattung eines Toten und für die Unterhaltung einer Grabstätte enorm an.
Dieses Zuviel, dieses Übermäßige bedingt bereits, wie überall im Leben, eine Gegenreaktion, die in der Ablehnung des erlebten übermäßigen Bestattungskultes gipfelt und den Wunsch für einem minimalistischen Totenkult hervorruft.

Wandlungen durch die Feuerbestattung

Etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland die Feuerbestattung eingeführt, einerseits aus hygienischen Gründen und andererseits aus ideologischen und romantischen Vorstellungen in Anlehnung an die vorgeschichtliche, europäische Kultur. Diese Bestattungsform erfreute sich immer größerer Beliebtheit. Einerseits in der Annahme, mit einem (kleineren) Urnengrab Kosten zu sparen, andererseits begann man, verschiedene Formen der Aschebeisetzungen, wie beispielsweise Kolumbarien, Aschestreuwiesen, Urnengräber und Gemeinschaftsanlagen für Urnen, Urnen-Seebestattung usw. auszutesten. Seit 1999 kam dann auch noch die Beisetzung von Urnen in Forstanlagen (Bestattungswald) dazu. Mit dem Versenden von Ascheresten in den Weltraum oder dem Tragen eines Anhängers aus verdichtetem Kohlenstoff (Diamant) des Toten treibt der Totenkult inzwischen eher kuriose Blüten. Fast alle die hier genannten Modelle sind aber auch heute noch quasi in einer Erprobungsphase. Das liegt daran, dass keine dieser Möglichkeiten so richtig zu Ende gedacht ist, es zu unerwarteten Reaktionen der Angehörigen kommt, oder die Trauerkultur nicht ausgelebt werden kann, bis hin zu nicht fachgerecht "entsorgten" Urnen, die niemand mehr haben möchte. Das soll aber hier nur am Rande erwähnt und nicht weiter thematisiert werden.

Fakt ist, seit dem stetig wachsenden Anteil von Aschebeisetzungen sinkt der Flächenbedarf, der ursprünglich ausschließlich für Körpergräber berechnet war, auf den Friedhöfen. Die freigewordenen Flächen werden nun aber zunehmend zu einem Problem für die Friedhofsbetreiber zum Beispiel in Bezug auf die Gebührengerechtigkeit.

Da die meisten Friedhöfe einen stetig abnehmenden Flächenbedarf haben, der vorhandene Raum aber gepflegt und unterhalten werden muss, können die Kosten nicht mehr komplett auf eine Grabstelle umgelegt werden. In der Regeln werden nämlich die Unterhaltungs-, Anlage- und Investitionskosten einer Bestattungsanlage auf den Flächenbedarf eines Begräbnisplatzes umgerechnet. Das funktioniert schon nicht mehr bei Mehrfachbeisetzungen mit Urnen in einen einzelnen Grabplatz. Dann werden die Kosten nicht mehr äquivalent umgelegt, so wie es noch bei einem Reihengrab-Friedhof der Fall gewesen war. Das Extrem für derartige Ungleichbehandlung der Gebührenzahler ist die, sich immer größerer Beliebtheit erfreuender Urnengemeinschaftsanlagen. Ihnen fehlt bei genauerer Prüfung der Gebühren eine angemessene Beteiligung an der Erhaltung und Unterhaltung der gesamten Friedhofsanlage, wenn sämtliche reale Kosten der Unterhaltung und späteren Stellenauflösung abgezogen werden. Zudem ist eine unangemessen hohe Zahl von Urnen auf einer geringen Fläche konzentriert.

Die Folge ist, dass immer mehr ungenutzte Friedhofsflächen von immer weniger Nutzern unterhalten werden bzw. die Kosten dafür getragen werden müssen. Daraus wiederum resultiert eine Kostenspirale. Um Ausgaben zu reduzieren, werden Arbeitsplätze abgebaut und das führt nicht selten zu einer unzureichenden Pflege des Friedhofs. Nicht zuletzt daraus resultieren oft unausgegorene Alternativbestattungen.

Auswege und Korrekturen

Der Entwicklung unserer Bestattungskultur wurde oben kurz umrissen. Dabei ist die Lösung der derzeitigen Probleme vielleicht weniger in der Kostenfrage zu suchen als in der Reaktion auf die Veränderungen unserer Lebensweise. Viele Menschen leben heute nicht mehr ortsgebunden, und die Fragen der Bestattung werden nicht mehr durch die Tradition festgeschrieben. Dagegen muss der Bestattungspflichtige eine Menge von Entscheidungen treffen, für die es einer gewissen Zeitspanne bedarf, die aber oft nicht ausreicht, um alles zur Zufriedenheit zu regeln. Den guten alten Zeiten nachzujammern, ist keine Lösung.

Heute besteht oft der Wunsch, sich nicht sofort unverrückbar mit allen Fragen bezüglich des Friedhofes und der Bestattung festlegen zu müssen. Andererseits werden auch gern Bestattungsangebote wahrgenommen, bei denen die gesamten Kosten sofort nach der Bestattung und mit einer einmaligen Zahlung beglichen werden können, schon um diese Kosten gemeinsam mit den Erbschaftsangelegenheiten klären zu können. Dieser gewünschten Flexibilität stehen jedoch einige wichtige Regelungen des Bestattungsgesetzes, sowie der Friedhofs- und Gebührensatzung entgegen, die immer noch in jener Tradition stehen, bei der die Fragen der Bestattung durch althergebrachte Rituale bestimmt wurden und selbstverständlich festgelegt waren.

Will man Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte korrigieren, so muss zuerst den genannten Wünschen bezüglich der Möglichkeit von Unabhängigkeit und Flexibilität (bei Wahrung der Pietät) entsprochen werden. Denkbar ist etwa eine Art Bürgerbegräbnis, bei der der Friedhofsträger gemeinsam mit Zuschüssen der Kommune ein schlichtes Begräbnis für den Bürger organisiert, inklusive der Unterhaltung für die Zeit der Ruhefrist. Die Kosten werden durch eine Grundgebühr gedeckt, die der Bestattungspflichtige entrichtet. Bei der Kalkulation der Gebühren wird, äquivalent zum alten Reihengrabfriedhof, wieder eine Gebührengerechtigkeit hergestellt. Es werden Nutzungsrechte an der gesamten Friedhofsanlage vergeben und nicht Nutzungsrechte an einer einzelnen Grabstelle. Der Bestattungspflichtige kann nach seinem Ermessen über die Grundleistungen des Friedhofsträgers hinaus nach seinen eigenen Wünschen (im Rahmen der Friedhofssatzung) die Grabstelle im größeren Umfang gestalten, bepflanzen und pflegen. An dieser Stelle darf nun weitergedacht werden.

Umgestaltung und Entwicklungskonzeptionen

Bestattungszahlen und Belegungsdichte der Friedhofsfläche

Wichtig für ein Entwicklungskonzept sind an erster Stelle sowohl die Statistik der jährlichen Bestattungszahlen als auch die Übersicht der vorhandenen Grabstellen auf den Bestattungsflächen des Friedhofs. Will man eine Prognose über die künftige Belegungsdichte der Anlage erstellen, muss der Planer die Liegezeiten der vorhandenen Grabstellen beachten. Und er muss sich über den Anteil der jeweiligen Bestattungsarten informieren. Das sind zum einen die Anteile von Reihengräbern und Gemeinschaftsanlagen, die nach Ablauf der Ruhefrist sofort geebnet werden, und zum anderen die Anteile der dazu im Verhältnis stehenden Wahlgrabstellen, welche nach Ablauf der Ruhefrist nachgelöst werden können.

Um sich komplizierte Berechnungen zur künftigen Entwicklung der Belegungsdichte zu sparen, ist das Augenmerk vordergründig auf die Zahl der jährlichen Grabstellenneuanlagen und Ebnungen zu lenken, sowie auf die Entwicklung der Bevölkerungszahlen des Umlandes.

War es vor 50 Jahren noch möglich, mit mathematischen Formeln den Flächenbedarf des Friedhofs zu berechnen, so ist das heute im Zeitalter verschiedenster, neuartiger Bestattungsformen sehr kompliziert geworden. Da ist es schon sinnvoller, den Trend vor Ort real einzuschätzen. Dazu genügt es schon, die Zahl der jährlichen Grabneuanlagen zu kennen und die Anzahl der jährlichen Ebnungen. Dazu kann man noch die alte Faustregel für die Friedhofsflächenberechnung heranziehen, die mit 80 Gräbern für 100 Seelen der Bevölkerung bzw. mit 33 Aar Friedhofsfläche für je 1000 Einwohner rechnet. Davon werden etwa 20 Aar für reine Grabfläche und mindestens ein Drittel des Geländes für Wege, Grünflächen, Freiplätze usw. vorbehalten (nach Rudolf Pfister, Die Friedhof-Fiebel, München 1954).

Idealform der Flächennutzung

Mit Reihengräbern lassen sich die Flächen optimal ausnutzen. Diese Idealform der Flächennutzung finden wir heute immer seltener, obwohl mit dieser Belegungsart ein Minimum an Anlagenunterhaltung und Verwaltung erreicht wird.

Bei Feldern mit Wahlstellen (Grabstellen, welche nachgelöst werden können) ist das schon schwieriger, da nach dem Ablauf der Ruhefrist nur ein Teil der Stellen in einem Grabfeld frei werden. Auf einem Friedhof, welcher vorwiegend mit Wahlgrabstellen belegt ist, kann die Vielzahl verschiedener Grabarten und ganz besonders, wenn noch verschiedene Grabgrößen (Rastergrößen) hinzu kommen, die Bestattungsflächen unnütz verbrauchen. Besser ist die Angleichung der Grabgrößen bei Wahlgrabstellen. Fügt man sie in das Rastersystem der Körpergräber ein, was bedeutet, dass eine einheitliche Größe eine gleichmäßige Belegung zur Folge hat, und setzt man dieses Raster in ein entsprechendes Größenverhältniszu den Urnengräbern, so werden die Flächen gut genutzt, und die Zersplitterung von Bestattungsflächen wird weitgehend vermieden. Problematisch sind Leerstellen innerhalb alter Grabfelder, auf denen ein Teil der Grabstellen nachgelöst, der andere Teil aber schon geebnet worden ist. Solche Abteilungen haben viel ungenutzte Fläche und sind aufwendig zu pflegen, was sich am Ende immer ungünstig auf die Unterhaltungskosten auswirkt und seinen Niederschlag letztlich in den Lösegebühren findet. Dort, wo es möglich war, habe ich derartige Lücken in den Grabfeldern mit Reihengräbern nachbelegt oder auch Urnenstellen innerhalb auslaufender Erdbestattungsfelder vergeben.

Flächennutzungsplan, Belegungsplan

Der wichtigste Punkt bezüglich von Rekonstuktionsplänen ist der Flächennutzungsplan, wobei man auf dem Friedhof wohl besser vom „Belegungsplan“ spricht, und so will ich es auch tun. Die Vergabe von neuen Grabstätten sollte nie willkürlich erfolgen, sondern wenigstens einer lockeren Ordnung unterliegen. Für Dorffriedhöfe kann das lediglich als Empfehlung gelten, auf großen Friedhofsanlagen ist es ein Muss. Für ein tragfähiges Entwicklungskonzept ist der Belegungsplan also die allererste Grundlage. Dieser beinhaltet ausgewiesene Bestattungs-, Vorhalte-, und Bestandsflächen und eventuell auch Flächen für Bestattungen anderer Kulturkreise, sowie Kriegsgräber und erhaltenswerte historische Grabanlagen. Zum Belegungsplan gehört die Planung der sogenannten Baggergassen – das sind die Zufahrtsmöglichkeiten für Grabbagger zu den Körpergräbern. Gleichzeitig sollte dem Belegungsplan ein aktueller Lageplan mit einem übersichtlichen System der Grabstellennummerierung vorliegen.

Begrünungskonzeption, Entsorgungskonzept, Wegeplan

Es ist durchaus möglich, mit den Erfahrungswerten der letzten 10 Jahre einen brauchbaren Belegungsplan für die nächsten 10 bis 20 Jahre zu erstellen. Darauf baut sich jede weitere Planung auf wie z.B. die Begrünungskonzeption, das Entsorgungs- und Versorgungskonzept (Abfall, Wasserleitungen, Zufahrt für Bestatter und Gärtner) sowie die Wegeplanung.

Neben diesen rein funktionalen Konzeptionen für die Fläche sind noch diejenigen Fragen zu klären, wie mit der baulichen Substanz auf dem Friedhof umgegangen wird. Das betrifft nicht nur Gebäude, Mauern, Tore sondern auch Bankplätze, Wasserstellen, Fahrradständer erhaltenswerte historische Grabdenkmale und Parkmöglichkeiten vor dem Friedhof.

Ökologische Konzeption und mehr

Um der Vielzahl von Aspekten noch einen Letzten hinzuzufügen, nenne ich hier noch die ökologische Konzeption. Das heißt, wie werden schützenswerte Arten der Tier- und Pflanzenwelt erhalten und wie vermeiden wir, dass der Friedhof überpflegt wird, bzw. wie können wir unterbrochene natürliche Kreisläufe in der Natur wieder instand setzen?

Bei aller Planung sollten wir aber auch Folgendes nicht aus den Augen verlieren: im Mittelpunkt steht immer der Mensch, in erster Linie der trauernde Mensch. Da stellen sich Fragen wie: Ist der Mensch im Schutzraum des Friedhofs dem Lärm und der Unrast des täglichen Lebens entzogen? Entspricht all unsere funktionale Planung auch im Detail der Würde des Menschen sowohl in Bezug auf die ruhenden Toten als auch auf die Trauernden, sowie in Bezug auf das Totengedenken?
An dieser Stelle erinnere ich auch an die Würdigung des kulturellen Erbes unserer Friedhöfe und an die Würdigung der Generationen, die vor uns waren und an jene, die nach uns kommen werden. Meine Buchempfehlung hierzu ist der Klassiker von Hans-Kurt Boehlke, "Der Gemeindefriedhof", (Taschenbuch) Kassel 1973