Geometrische Gärten Teil 3: Die Maßverhältnisse

Geometrische Gartenanlage

Maßverhältnisse zwischen Garten und Haus: Die Gliederung jedes Gartenteiles in geometrischen Gartenanlagen baut sich formal auf eine Basis auf, die nahe dem Hause liegt. Denkt man sich die Zeichnung der Fläche senkrecht gestellt, so muss jeder Teil ästhetisch auf dem vorhergehenden ruhen, auf und aus ihm entwickelt werden. Also darf das tragende Glied nie ästhetisch (optisch) schwächer, leichter sein als das zu tragende; das Verhältnis der "Last" zur "Kraft" beherrscht, wie die gesamte gestaltende Kunst, auch die Gliederung, Ornamentik, ja, in weiter übertragenem Sinne, auch die Farbenwerte des Kunstgartens.

Das Haus als Ganzes bildet die Basis für den zu ihm gehörigen Kunstgarten als Ganzes: Haus und Garten müssen daher in diesem Sinne im Gleichgewicht stehen, der Garten jedenfalls darf das Haus nicht erdrücken. Das eben Gesagte hat aber noch einen besonderen Sinn: das Haus wirkt räumlich, körperlich, der geometrische Garten wirkt flächig; eine große Fläche kann aber von einem Körper geringerer Ausdehnung (optisch) getragen werden (große Flächengärten am Haus sind nicht störend); also kann die geometrische Gartenfläche um vieles größer sein als die Fläche, welche das Haus einnimmt. Je reicher aber die Fläche neben dem Haus mit räumlich wirkenden Dingen wie hohen Bäumen, Pergolen, Architekturen besetzt ist, desto kleiner muss die Flächenausdehnung sein, um das Gleichgewicht zwischen Haus und Hausgarten nicht zu stören.

Besteht der Wunsch, ein Haus mit größerem Garten zu umgeben, als es zu tragen vermag*, so müssen architektonische Zwischenglieder geschaffen werden, neue Basen, die neue Lasten zu tragen vermögen. Mit architektonischen Mitteln wie Pavillons, Lauben, Laubengängen, Gartenhäusern, Brunnen, Bänken, vor allem durch Terrassierung schafft man Zentren und ästhetischer Träger ganzer, selbständiger Gartenglieder.

Barocker SenkgartenBarocker Senkgarten.

Auf Hügeln an Abhängen und Senkgärten kann die architektonische Gestaltung des Gartens so weit gehen, dass ein umgekehrter Zustand eintritt, als er oben angenommen wurde: der Garten trägt dann das Haus, dieses krönt ihn, in ihm erreicht die Gartenarchitektur ihren Höhepunkt.

Je nach dem gewünschten Verhältnis zwischen Haus und Garten entscheidet sich die Wahl der Größe und Gliederung. Das gewollte Verhältnis muss daher zuerst festgestellt werden: dann erst beginnt die Entscheidung über die Einzelheiten. Optische Grundmaße für die Gartenanlage können von der Architektur des Hauses abgeleitet werden.

Schlossterrasse von SanssouciSchlossterrasse von Sanssouci, durch das Schloss gekrönt.

Es ist zu scheiden zwischen Hauptgliederung und Füllung der Glieder mit Einzelheiten. Das Abhängigkeitsverhältnis der Glieder spielt in die Einzelheiten hinein: Ein Hauptglied darf nicht mit Nebensächlichkeiten ausgefüllt und ein Nebenglied dritten oder sechsten Grades nicht überladen werden. Überladung verstößt gegen das statische Gesetz der Beziehungen von Kraft und Last im ästhetischen Sinne.

Ein Zentrum ist der Träger von ihm abhängiger Glieder. Oft ist das Zentrum ästhetisch zu klein, weil ein großes Zentrum ein Hindernis für den Verkehr ist. In solchem Falle sollte auf ein Mittelglied besser ganz verzichtet und die Seitenglieder jedes mit besonderem Zentrum versehen werden.

*"Das Haus trägt den Garten" könnte auch heißen: Der Garten betont das Haus.


Literatur & Quellen: Willy Lange: Die Gartengestaltung der Neuzeit, Leipzig 1907 - mehrfach überarbeitetes Kapitel aus "Der geometrische Garten".