Die Abende der Mittsommernächte sind lang und lassen nach dem Untergang der Sonne viele Stimmungsbilder entstehen. Empfindsame Menschen glauben oder können wohl auch wirklich in solchen Dämmerungsstunden die Seelen der Blumen und Pflanzen in Form von Feen, Elfen und Naturgeistern wahrnehmen. Heinrich Heine scheint ein solch sensibler Mensch gewesen zu sein und hat seine wohl heimlichen Beobachtungen in folgendem Gedicht niedergeschrieben. Es ist ein wunderschönes kurzes Sommergedicht, welches leicht zu lernen oder vorzutragen ist.
Nach den Versen des Dichters folgt eine kurze, jedoch nicht uninteressante Interpretation.
Der "Sommerabend" von Heinrich Heine (1797 – 1856) ist vielleicht eines der letzten deutschen romantischen Gedichte. Man sagt von Heine, dass er der „letzte Dichter der Romantik“ sei und am Ende seines Schaffens diesen Kunststil verließ.
Die vorliegenden Verse sind unterhaltsam geschrieben, was zeigt, dass das romantische Flair seiner Feder nicht für die ernsten Themen des Lebens gewählt wurde und die Stellung dieser Kunstform beim Dichter anzeigt.
Dämmernd liegt der Sommerabend
Über Wald und grünen Wiesen;
Goldner Mond im blauen Himmel
Strahlt herunter, duftig labend.
An dem Bache zirpt die Grille,
Und es regt sich in dem Wasser,
Und der Wandrer hört ein Plätschern
Und ein Atmen in der Stille.
Dorten, an dem Bach alleine,
Badet sich die schöne Elfe;
Arm und Nacken, weiß und lieblich,
Schimmern in dem Mondenscheine.
Heinrich Heine – Buch der Lieder, Entstehungsjahr 1823 – 1824
Gedichtanalyse
Natürlich können auch solch unterhaltsamen Zeilen interpretiert werden. Das Bild einer Elfe ist der nordischen Mythologie entnommen. Elfen (Albe oder Elben) sind Naturgeister und symbolisieren die Seele der heimischen Natur und dieser fühlten sich die Romantiker bekanntlich besonders verpflichtet. Sie waren es, die dem deutschen Wald das Furchteinflößende nahmen und ihn zu einem Ort feierlicher Mystik transformierten. Die Spätromantik war eine kurze Epoche, in der die Menschen noch den Glauben hegten, Teil einer befriedeten und gestalteten Natur zu sein. Ausdruck dieser Idee waren zum Beispiel auch die wundervollen Landschaftsparkanlagen des Fürsten Pückler-Muskau (1785 – 1871), der ganze Landstriche in solch idealisierte Kulturlandschaften verwandeln wollte.
Ein jähes Ende fand diese Kunst- und Kulturepoche jedoch durch die Erfindung der Eisenbahn, welche quasi den Anschub für das Industriezeitalter gab. Im Jahr 1825 fuhr der erste Passagier-Eisenbahnzug mit Dampflok testweise zwischen Stockton und Darlington, und im Jahr 1829 erfand der Engländer Stephenson die erste Dampflok ("The Rocket"), die schwere Lasten mit hoher Geschwindigkeit auf einem Gleis ziehen konnte. Bereits sechs Jahre später, also 1835, wurde die erste deutsche Dampfbahn auf der Kurzstrecke von Nürnberg nach Fürth für den Verkehr freigegeben und 1839 die erste deutsche Langstrecke zwischen Leipzig und Dresden. Je rasanter diese neue Dampfmaschinentechnik und mit ihr das neue Maschinenzeitalter vorwärts eilte, um so mehr wurde die vorangegangene Epoche in eine mystische Vorzeit mit Elfen, Feen und Fabelwesen verklärt. Die badende Elfe symbolisiert diese unberührte Natur, deren Geheimnisse sofort verschwinden, wenn wir die Natur mit Technik und Verstand erobern möchten.
Auch heute gibt es wieder Ausdruckformen moderner romantischer Kunst, wie beispielsweise Fantasy-Malerei, bei welcher Elfen und Feen eine besondere Rolle spielen und die unverbildete, geheimnisvolle Natur symbolisieren. Und auch Gärten werden gern wieder romantisch gestaltet, wozu hier auf diesen Gartenseiten reichlich Anleitungen und Ideen zu finden sind.
Ein recht ähnliches Gedicht, bei dem die Mondnacht thematisiert ist und das ebenso aus drei Strophen besteht, finden wir bei Joseph Freiherr von Eichendorff. Es ist hier auf diesen Seiten ebenso mit Interpretation zu finden.
Gedichtinterpretation: G. Jacob
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